Allen neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Trotz: Einer läufigen Hündin  werden oft so einige Mythen angedichtet – und dann wird schnell zueinem operativen Eingriff geraten, der alle Probleme beheben soll. Damit muss Schluss sein und es ist Zeit einmal über das Thema Sex zu reden. Alles beginnt mit der Pubertät.

Wer mit einer läufigen Hündin unterwegs ist, muss sich so einiges anhören. Nach
einhelliger Meinung anderer Halter, insbesondere der Rüdenfraktion, dürfte mit einer proöstrischen Felldame nur des Nachts und auf keinen Fall in diesem Gebiet Gassi gegangen werden. Dass die auch noch einen Duft verströmt, der jeden Rüden in einen spitzen Lumpi verwandelt, gegen den sein Besitzer machtlos ist, ist allerdings genauso ein Irrtum wie der, dass Läufigkeit oder Scheinträchtigkeit enorm viel Stress auslösen.

Tierärzte und Hundetrainer immer noch oft zu schnell dabei, die Kastration als erstes oder bestes Mittel der Wahl anzusehen. Dass die Vierbeiner dabei aber in ihrer Entwicklung gehemmt werden und ihre Hormonwelt ordentlich durcheinandergerät, scheint eher zweitrangig, wenn nicht sogar bedeutungslos zu sein. Dabei sind genau diese beiden Aspekte so wichtig.

In der Pubertät ist alles anders

Während dieses körperlichen Veränderungs- und Reifeprozesses beginnt bei der Hündin der Zyklus. Das sogenannte KiSS-1-Gen läutet die Pupertät ein. Und dann geht’s ziemlich rund, das ist bei den jungen Vierbeinern nicht anders als bei den Zweibeinern im entsprechenden Alter. Kein Wunder, denn jetzt beginnt im Gehirn ein Umbauprozess, der übrigens erklärt, warum da oben plötzlich niemand mehr erreichbar zu sein scheint. Medizinisch ausgedrückt: Es kommt zur Apoptose, dem programmierten Zelltod. Synapsen, die nicht mehr gebraucht werden, sterben ab, alles andere bekommt einen neuen festen Platz. Ein Grund, warum Welpen so viel wie möglich lernen sollten, damit zu diesem Zeitpunkt noch genug „Material“ zum Wiederaufbau vorhanden ist.

Läufigkeit und Kastration
Wilde Phasen gehören dazu ©Kalthofer/stock.adobe stock.com

Körperlich verändert sich ebenfalls einiges, ausgelöst durch die fertig ausgebildeten Sexualhormone. Ein operativer Eingriff kann jetzt dazu führen, dass das Wachstum nicht wie vorgesehen durch die Sexualhormone beendet wird und die Frühkastraten in die Höhe schießen. Auch das Gehirn entwickelt sich nicht wie vorgesehen.

Die Zyklusphasen der Hündin

Die Läufigkeit ist durch zwei Zyklusphasen geprägt. In der Vorläufigkeit, der Proöstrus, schwillt die Vulva der Hündin an und sie beginnt zu bluten. Die Hormone, insbesondere das weibliche Sexualhormon Östrogen, arbeiten bereits auf Hochtouren, und dem anderen Geschlecht schwant schon, was bald passiert. Und es macht aus den sonst so feinen Damen wahre Bordsteinschalben. Sie balzen, bieten sich an, markieren und sind auf der Suche nach einem passenden Partner.

Wirklich paarungsbereit sind sie aber erst in der nächsten Zyklusphase, dem Östrus. Die berühmten Stehtage dauern sieben bis zehn Tage. In den ersten beiden Tagen kommt es zum Eisprung, und nun lässt die Hündin keinen Zweifel mehr daran, dass sie bereit für Sex und Nachwuchs ist.

Läufigkeit und Kastration
Bella auf der Progestoronwolke? ©stock.adobe stock.com

Nach dieser Phase beginnt die Diöstrus, in der auch das Trächtigkeitshormon Progesteron produziert wird. Unabhängig davon, ob eine Trächtigkeit vorliegt oder nicht. Genau dieses Hormon ist außerdem für die Scheinträchtigkeit zuständig, die manchmal eintritt und übrigens ganz normal ist.

Nach der wilden heißen Phase der Läufigkeit zieht sich die Felldame zurück, wird ruhiger und häuslicher. Sie schwebt auf einer rosaroten Progesteronwolke. In diesem Zustand würde sie sich normalerweise auf die Geburt vorbereiten. Danach folgt die Scheinmutterschaft, in der die Welpen bereits auf der Welt wären. Das für diesen Zustand verantwortliche Hormon Prolaktin steuert die Milchbildung, aber auch die Jungtierverteidigung und das Brutpflegeverhalten.

Die Sache mit der Scheinmutterschaft

Hat die Hündin aber keinen Nachwuchs bekommen, adoptiert sie jetzt vermutlich alles, was Kastraihr vor die Pfoten gerät. Dieses Verhalten ist ein ganz typischer Prozess ist, der aber auch eine Indikation für eine Kastration sein kann, wenn die Scheinmutterschaft ein starkes depressives Auftreten oder sogar Aggressionen auslöst. Ebenso normal sind die Gesäugeanbildung und die Milchproduktion, solange das Gesäuge keine Entzündungsanzeichen wie Rötung, Wärme oder Schwellung zeigt.

Läufigkeit und Kastration
Alles wird adoptiert ©stock.adobe stock.com

Es ist ratsam, die ersten drei Läufigkeiten abzuwarten und erst dann sorgsam abzuwägen, ob tatsächlich zu viel Stress vorhanden und die Entfernung der Eierstöcke notwendig ist.Unerfahrene Halter haben oft das Gefühl, dass die Hündin unter der Scheinträchtigkeit sehr leidet, und möchten ihr das ersparen. Dabei sollten sie ihr einfach etwas Zeit lassen.

Kastration Hündin – ja oder nein?

Dennoch gibt es Gründe, die für einen operativen Eingriff sprechen. Die Anzeichen für eine Erkrankung, ausgelöst durch die Sexualhormone, sollten aber vorab erkannt werden.
Am häufigsten kommt die Gebärmuttervereiterung vor. Die durch Hormonschwankungen verursachte Pyometra kann in mehreren Formen, meist begleitet durch eine bakterielle Infektion, auftreten.

Kastration und Läufigkeit
Manches spricht für einen Eingriff ©stock.adobe stock.com

Während der Läufigkeit öffnet sich der Muttermund und Erreger, die eindringen, können zu einer Eiteransammlung im Uterus führen. In der Regel entsteht eine „Pyo“ zwei Wochen bis vier Monate nach der letzten Läufigkeit. Anzeichen sind: Lethargie, schlechtes Allgemeinbefinden, Appetitlosigkeit, Erbrechen, Durchfall, Fieber und Bauchschmerzen. Der Bauch ist oft umfangsvermehrt, da sich schnell große Mengen Eiter ansammeln. Ein weiteres Symptom ist vermehrtes Trinkverhalten und dadurch bedingtes Urinieren.

Bei der offenen Form fließt ein übel riechendes, eitrigblutiges Sekret aus der Vagina ab, das aber bei sehr reinlichen Tieren aufgrund des ständigen Beleckens vom Halter vielfach nicht bemerkt wird. Vermehrtes Schlecken im Intimbereich kann daher ebenfalls ein Hinweis sein. Die Gebärmuttervereiterung ist ein Notfall und muss sofort tierärztlich behandelt werden.

Die große Angst vor Tumoren

Ovarialzysten oder Ovarialtumoren sind dagegen eher selten. Eine größere Angst und der Grund für die meisten Frühkastrationen geht von den Mammatumoren, dem Gesäugekrebs, aus. Ein Umstand, der noch aus einer Studie aus dem Jahr 1969 basiert und längst keine Aktualität mehr hat.

Kastration und Läufigkeit
Abtasten ist die beste Vorsorge ©stock.adobe stock.com

Die Inzidenz steigt ab dem vierten Lebensjahr leicht an, aber besonders Hündinnen ab dem siebten Lebensjahr oder je nach Rasse zwischen 10 und 14 Jahren sind betroffen. Spaniel, Dackel und Pudel haben eine höhere Rassedisposition für gutartige Geschwüre; Schäferhunde, Rottweiler, Dobermänner und Boxer eine überproportionale Anfälligkeit für bösartige Tumoren.  Auch das „Wegspritzen der Läufigkeit“ kann die Entstehung von Gesäugekrebs um bis zu 40 Prozent steigern. Das regelmäßige Abtasten des Gesäuges zählt zu der besten Vorsorge.

Kastration ist eine individuelle Entscheidung

Und dann ist da noch die Sache mit dem Verhalten. Treten Auffälligkeiten wie Aggression gegen Konkurrentinnen, Unsicherheit oder Geräuschempfindlichkeit ausschließlich in bestimmten Zyklusphasen auf, kann eine Kastration sinnvoll sein. Das Thema ist also sehr komplex und muss von vielen Seiten betrachtet werden. Einfach so prophylaktisch zu kastrieren, ergibt keinen Sinn, denn wenn die Probleme nicht aus dem Sexualverhalten herzuleiten sind, bleiben sie weiterhin bestehen.

Kastration ist entsprechend immer eine individuelle Entscheidung, die von mehreren Faktoren abhängt und nicht leichtfertig getroffen werden sollte, denn der Eingriff ist
endgültig. Bei einer Frühkastration werden Hunde in ihrem hormonellen und neurobiologischen Zustand quasi festgetackert und entwickeln sich nicht so weiter, wie das eigentlich vorgesehen ist. Und übrigens, nur weil dem wetternden Halter im Park die läufige Dame nicht passt, muss sich diese noch lange nicht unters Messer legen. Suzanne Eichel

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