Mythos 1 Unerwünschtes Verhalten bedeutet keine oder schlechte Bindung
Der Hund reagiert nicht zuverlässig auf den Rückruf, jagt lieber, ist äußerst erkundungsfreudig, findet das Spiel mit anderen Menschen oder Artgenossen interessanter, will das geliebte Spielzeug nicht abgeben oder ist an der Leine ständig im Schnüffelmodus? Die Liste der unerwünschten Verhaltensweisen, die oft einer schlechten Bindung in die Schuhe geschoben werden, könnte geradezu endlos sein. Auch das Internet ist voll mit Test-Fragebögen zur Bindungsqualität. Die Aussage aber, dass unerwünschtes Verhalten auf einer schlechten Beziehung basiert, ist nicht nur demoralisierend für den Hundehalter und stellt seine Sozialkompetenzen inFrage – sie ist schlichtweg falsch!

©pololia – stock.adobe.com
Darum geht es: Eine stabile Bindung ist exklusiv und als sozial-emotionale Verbundenheit nicht austauschbar. Die Grundlage dafür bildet das Vertrauen in die Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit des Partners. Für den Hund bedeutet Bindung, durch seinen Halter soziale Nähe zu erfahren, sich beschützt zu fühlen, angstfrei die Welt erkunden und sich ausprobieren zu können.
Mythos 2 Zuwendung bestärkt die Angst
Ein sich hartnäckig haltender Klassiker, den Halter mit ängstlichen Hunden sehr oft zu hören bekommen, ist der Ratschlag, den Hund zu ignorieren, weil sie ihn sonst in seiner Angst bestätigten. Oder aber der Satz „Da muss er durch“, wenn der Vierbeiner in einer Situation, die ihm nicht geheuer ist, Schutz bei seinem Menschen sucht. Diesem wird dann noch geraten, sich zu entfernen und Bello

©isavira – stock.adobe.com
sich selbst zu überlassen. Sehr gerne genommen auch der Spruch: „Hunde regeln alles untereinander.“
Darum geht es: Eine unangenehme Emotion wie Angst und Furcht kann durch positiv bewertete Zuwendung nicht verstärkt werden! Ignorieren wiederum überlässt den Hund seinem Schicksal. Und je länger die Hilfe für ihn ausbleibt, desto schlimmer die Folgen. Panikattacken, Phobien, Handlungsunfähigkeit oder auch Aggression sind dann oft die traurige Konsequenz.
Mythos 3 Knurren ist böse und muss unterbunden werden
Hunde verfügen über eine große Bandbreite an Signalen und Lauten, um mit der Umwelt zu kommunizieren. Knurren ist auch nur ein Kommunikationsmittel, um eine bestimmte Empfindung mitzuteilen. Für den Menschen kommt die Lautgebung oft überraschend, weil er auf die vorausgegangenen Signale seines Vierbeiners nicht geachtet hat. Das kann zur Beschwichtigung ein Sich-Klein-Machen, Kopfwegdrehen, Pföteln oder Maulwinkellecken gewesen sein, oder zum Abbruch einer Verhaltensweise ein strenger Blick, Stirn- oder Nasenrückenrunzeln, Lefzenanheben oder Querstellen. Alle Ausdrucksweisen der aggressiven Kommunikation gehören zum ganz normalen biologischen Verhaltensrepertoire der Vierbeiner – das umfasst auch die Drohgebärden. Sie sind weder böse noch schlecht, sondern ein unerlässlicher Bestandteil ihres Sozialverhaltens.

©fuchs mit foto – stock.adobe.com
Darum geht es: Knurren ist aus Hundesicht eine ernstzunehmende Kommunikation. Entsprechend macht es Sinn, die Ursachen für diesen emotionalen Laut zu erforschen. Je nach Motiv kann ein alternatives Verhalten mit dem Tier trainiert werden, es vor Gefahren zuverlässig schützen und sein Knurren auch mal als angemessenes Abwehrverhalten tolerieren.
Mythos 4 Der Mensch ist der Rudelführer und der Hund hat sich unterzuordnen
Stürmt der Vierbeiner als erster durch die Tür, zieht an der Leine, markiert beim Gassigang, muss über die „Nachrichten“ seiner Artgenossen immer noch eins drüber schreiben oder macht es sich auf dem Sofa bequem? Dann wird Bello von so manchem Experten sogleich als dominanter oder sogar dominant aggressiver Hund abgestempelt, der es auf den höheren Rang des Menschen abgesehen hat und muss untergeordnet werden.
Dominanz ist weder eine angeborene noch dauerhaft anhaftende Eigenschaft ist. Auch stellt sich die Frage, warum wir Menschen diese Hackordnung und Machtdemonstration eigentlich brauchen. Per se haben wir doch ohnehin das Sagen. Wir entscheiden, wann der Hund zu fressen bekommt, wo er schlafen darf, wann wir mit ihm Spazieren gehen und mit wem er Kontakt aufnehmen darf.
Mythos 5 Nackenschütteln als Erziehungsmaßnahme
Um den Hund zu bestrafen greift der Besitzer den Nacken des Tieres und schüttelt ihn. In der Natur kommt dieses Verhalten einer Tötungsabsicht gleich. Stammt sie doch aus der Endsequenz des Beutefangverhaltens kurz vor dem Tötungsbiss. Keine Hundemutter würde ihrem Nachwuchs das antun, also sollte auch kein Hundehalter so mit seinen Schützling umgehen.
Mythos 6 Vorenthalten der Nahrung

©rodimovpavel – stock.adobe.com
Körperliche Gewalt, auch einhergehend mit gesundheitlichen Schäden, und Erpressung ist das Vorenthalten der Nahrung. Sei es, dass die eigenwillige Fellnase durch tagelanges Hungern sich endlich seinem Menschen zuwenden soll oder sich ausschließlich über den Futterbeutel satt fressen darf. Das ist nicht nur tierschutzwidrig, sondern schlichtweg gemein!
Mythos 7 Erhöhte Liegeplätze
Der Vierbeiner darf weder im Bett schlafen, noch andere erhöhte Liegeplätze, wie das Sofa einnehmen. Auch ein Hund liegt gerne bequem. Die Höhe ist ihm dabei egal, Hauptsache es ist kuschelig und in

©Christopher Bernard
der Nähe seines Menschen. Wer den Körperkontakt auf der Couch oder im Bett nicht mag, bringt seinem felligen Partner bei, woanders zu liegen. Sollte dann aber das Bedürfnis des Kontaktliegens anders befriedigen.
Mythos 8 Begrüßung ignorieren
Endlich, Frauchen oder Herrchen kommen nach Hause und ihr Hund freut sich wie verrückt. Wer ihn jetzt sofort begrüßt, gibt damit sofort seinen Alphastatus ab. Klingt schon so absurd, wie es auch ist. Selbstverständlich darf ein Begrüßungsritual stattfinden. Dies gilt übrigens auch für das Weggehen. Es hilft Tieren mit Trennungsproblemen darauf zu vertrauen, dass der Mensch immer wieder kommt. Besonders bei gestressten Hunden sind Begrüßung und Körperkontakt wichtig. Durch das Streicheln und Knuddeln sinkt durch das Bindungshormon Oxytocin der Stresspegel.
Mythos 9 Vorweg laufen

© Radoslaw Korga – Fotolia
Dem Hund ist es nicht gestattet, als erster durch die Tür zu gehen und nie vorne weg zu laufen. Geschweige denn, ihn an der Leine ziehen zu lassen. Aber kaum ein Vierbeiner kann es erwarten, wenn es nach draußen geht. Mit Alpha-Verhalten hat auch das rein gar nichts zu tun. Je nach Wohnort ist es ratsam, ihm das Warten bei zu bringen oder ihn an der Leine durch die Tür zu führen. Einfach zur Gefahrenabwehr. Und ist er gut abrufbar, darf er getrost voraauslaufen. Das Gute daran, so ist er immer im Blickfeld und kann keinen Blödsinn anstellen. Am Hinterkopf fehlen bekanntlich die Augen. Dies gilt selbstredend auch für das Führen an kurzer oder langer Leine. Ein ziehender Hund benötigt einfach ein bisschen Leinentraining.
Mythos 10 Anspringen, Aufreiten und Markieren
Der wohl größte Irrtum besteht in diesem Verhalten. Anspringen oder Aufreiten wird sofort als dominant interpretiert. Stimmt nicht! Letzteres ist oft ein Zeichen für Stressabbau oder schlicht eine Übersprungshandlung. Manchmal auch sexuell motiviert. Ganz kurios wird es, wenn Bello markiert. Würden wir der Alpha- und Dominanztheorie hier Recht geben, müssten wir als Menschen sofort darüber urinieren, um unsern Status wieder herzustellen. Man stelle sich das mal im Alltag vor.
Unser Fazit zu den Mythen
Das Dominanzgerede mit all seinen unangemessenen Methoden sollte endlich der Vergangenheit angehören! Jegliche Ausübung von Zwang und Gewalt, Bedrohung, Zufügen von Schmerzen, ständiger Kontrolle, Verweigern von Bedürfnissen, Ignorieren und Isolation führen nur dazu, dass der Partner auf vier Pfoten sein Vertrauen verliert und schwächen die soziale Mensch-Hund-Bindung. Mit einer klaren und liebevollen Erziehung, einem gesunden Menschenverstand und Bauchgefühl geht es nicht nur besser, sondern wir helfen unseren Vierbeinern auch, sich besser in unserer Welt zurecht zu finden. Nicht zuletzt darf ein Hund auch noch Hund bleiben. Christine Holst